Travestien der Kybernetik [event | concept]

:: event / concept | trans-theoretische veranstaltung + workshop |@ Tesla + FU Berlin | 050624-25

– gemeinsam mit Gabriele Gramelsberger, sowie Sybille Krämer.

unterstützt von Tesla im Podewils’schen Palais Berlin, dem Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin, dem DFG Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“


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Worum es geht:

Die Macy-Konferenzen versammeln von 1946 bis 1953 die technokratische Wissenschaftselite der U.S.A., um die Theorie und Praxis der „Circular Causal, and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems“ zu diskutieren. Neurologen (Frederick A. Mettler, Hans Lukas Teubner u.a.), Psychologen (Howard L. Liddlle, Warren S. McCulloch, u.a.), Mathematiker (John von Neumann, Norbert Wiener, Walter Pitts, u.a.), Soziologen (Paul F. Lazarsfeld, Gregory Bateson, Margaret Mead, u.a.), Physiologen, Philosophen und Ingenieure erörtern in interdisziplinärer Auseinandersetzung die Interaktionspotentiale zwischen biologischen, maschinellen und menschlichen Systemen, deren Steuerung, Regelung und Kontrolle. Die Macy-Konferenzen sind der historisch einmalige Versuch in einer kontrollierten, aber offenen Versuchsanordnung ein neues Theorie-Paradigma zu erschaffen, neue Metaphern und eine neue Sprache zu inaugurieren. 2004 hat Claus Pias die Transkripte von fünf der insgesamt zehn Macy-Konferenzen im diaphanes Verlag publiziert. Diese Dokumente sind Zeitzeugen eines Kontrolltraums, der in vielfacher Umgestaltung im 21. Jahrhundert ebenso virulent und dessen politische Brisanz aktueller denn je ist: „Wieners Zukunftsvision von einer kybernetischen Gesellschaft liefert für den neuen politisch-militärischen Status der USA als Supermacht die wissenschaftliche Legitimation. Kybernetik wird zur neuen globalen Leitwissenschaft, die fortan unter wechselnden Etiketten weiterentwickelt wird. Aus einer Theorie wird weltweite Praxis.“ (Lutz Dammbeck)

Das Verhältnis von Theorie und Praxis der Kybernetik spiegelt sich in der zentralen These der Filmdokumentation „Das Netz“ von Lutz Dammbeck wider, der im Stile einer modernen Wissenschaftsarchäologie den Kontrolltraum technokratischer Wissenschaftseliten in den U.S.A ausleuchtet. Indem Dammbeck die Protagonisten der Information Society - Expanded Cinema-Festival, Whole-Earth-Community, Macy-Conferences, ARPA, MIT u.v.a. – mit dem „Antitechnologischen Manifest“ des Una-Bombers konfrontiert, rekonstruiert er bis heute wirksame Motive und Fluchtlinien der Macy-Konferenzen. Sichtbar werden in den zahlreichen Interviews die verschiedenen Zuflussquellen für die gesteuerte Entwicklung einer Wissenschaft, die – während sie daran ging Computer und Kommunikationstechnologien erst mit Blick auf militärische Abwehrsysteme, dann im Sinne neuer Kommunikationsnetze miteinander zu vernetzen – schließlich auch die „Vorhersage und Kontrolle menschlichen Verhaltens möglich macht“. Denn: „In diesen weltweiten funktionierenden Maschinensystemen sind alle Aussagen richtig…. Weil sich alle von anderen Aussagen ableiten lassen.“, konstatiert Heinz von Foerster, Sekretär der Macy Konferenzen und Begründer des Biological Computer Lab (BCL).

Was ursprünglich mit einfachen Diagrammen geschlossener Schaltkreise begann, mutierte in mehr als sechs Jahrzehnten zu einer multiplen und verschachtelten Mensch-Maschine-Landschaft, die biologische und technische Systeme zur Augmented Reality koppelt, Systemdynamiken in Simulationen berechnet oder Expertensysteme und Roboter in Arbeitsabläufe eingegliedert. “Tatsächlich sind - wie die schönen neuen Welten des Cyberspace - die heutigen Life Sciences der vielleicht deutlichste Beweis dafür, wie anonym oder versteckt das kybernetische Wissen inzwischen reagiert, gerade weil es durchgängig regiert.” (Bernhard Dotzler)

Von militärischen Abwehrsystemen zu Kommunikationsnetzen, von geschlossenen zu offenen Systemen, von der Homeostase zur Emergenz, vom einfachen Servomechanismus zu komplexen Multi-Agenten-Systemen – entlang dieser Vektoren, die bis in die Gegenwart (und darüber hinaus) reichen, spannt sich der Bogen der Travestien der Kybernetik auf. Das kybernetische Programm spiegelt dabei nicht zuletzt einen bis heute vorherrschenden Versuch wider, die Rolle menschlicher Akteure in einer zunehmend techno-kulturellen Umwelt zu verorten.

Ist also die Frage nach den »Travestien der Kybernetik« heute aktueller denn je oder als rein nostalgisch zu verbuchen? Welche Rolle spielen die menschlichen Akteure in den mittlerweile globalen und offenen Systemen? Wer ist Steuermann, wer User? Sind komplexe Systeme grundsätzlich „Out of Control“ oder Elemente einer „erweiterten Kontrolle“? Welche Bedeutung hat heute noch ein kybernetisches System-Konzept? Welche Formen kann das kybernetische Denken annehmen – und welche Alternativen schließt das kybernetische Denken aus?



Veranstaltung mit:

Das Netz (Film), Videoprogramm – Unveröffentlichtes Interviewmaterial von Lutz Dammbeck (John Brockmann, Stewart Brand, Heinz von Foerster, David Gelernter, Lawrence Roberts, Robert W. Taylor, Jack Burnham, Paul Garrin, Hans Haacke) und Lutz Dammbeck, Claus Pias sowie Ulrike Bergermann, Rainer Fischbach, Markus Rautzenberg, Peter Bexte, Helmut Höge, u.v.a..



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––– website »Travestien der Kybernetik« (inkl. Medienmaterial) >


s.a.
»Die Grenzen des kybernetischen Systems« [text] >